WATER AS CULTURAL HERITAGE
  Kaltes klares
Quellwasser
  Wien ist die einzige Millionenstadt der Welt, die flächendeckend mit frischem Hochquellwasser versorgt wird. 2023 feiert die bahnbrechende Hochquellenwasserleitung ihr 150-jähriges Bestehen.
  Text und Interviews: Evelyn Rois & Bruno Stubenrauch
 


1873
war ein absolut entscheidendes Jahr für Wien. Nicht nur wurde im Mai endlich die seit Jahren geplante Wiener Weltausstellung, eine gigantische Schau im Wiener Prater eröffnet, im Oktober 1873 wurde auch die I. Wiener Hochquellenleitung feierlich eingeweiht. Das bis heute bahnbrechende Projekt liefert der Stadt frisches Quellwasser aus dem Rax- und Schneeberggebiet rund 150 km südwestlich von Wien. Die Versorgung der Stadt mit erstklassigem Wasser war eines der bestimmenden Puzzleteile für den fulminanten Aufstieg Wiens zur bestimmenden Metropole Europas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Visionäres Projekt

Seit 150 Jahren versorgt die I. Hochquellenleitung, die ohne eine einzige Pumpe auskommt und nur mit dem natürlichen Gefälle arbeitet, Wien mit frischem Quellwasser, das in rund 24 Stunden von den Voralpen durch zahlreiche Stollen und über 30 Aquädukte, die heute alle unter Denkmalschutz stehen, bis in den Wasserbehälter am Rosenhügel fliesst, von wo es dann im Stadtgebiet in die Haushalte verteilt wird. In visionärer Voraussicht entschied sich der Wiener Gemeinderat in hitzig geführten Debatten im Vorfeld gegen die technisch und finanziell weit weniger aufwändige Aufbereitung von Trinkwasser aus der Donau und ließ im Gebiet der Voralpen nach sauberem Quellwasser suchen. Die weit in die Zukunft gerichtete Entscheidung machte die Stadt Wien zur Besitzerin der Quellen ihrer Wasserversorgung und schuf zudem umfassende Wasserschutzzonen in den Alpen, die sich mittlerweile auf 675 km2 ausgeweitet haben. Am 24. Oktober 1873 wurde das visionäre Projekt der I. Wiener Hochquellenleitung von Kaiser Franz Joseph mit der feierlichen Inbetriebnahme des Hochstrahlbrunnens am Schwarzenbergplatz offiziell eröffnet. In den folgenden Jahrzehnten wuchs die Bevölkerung Wiens rapide auf über zwei Millionen Einwohner an. Um den gestiegenen Wasserverbrauch decken zu können, ergänzt seit 1910 die II. Wiener Hochquellenleitung, mit Quellfassungen im Hochschwabgebiet, die Wiener Wasserversorgung. Die beiden Hochquellenleitungen beliefern die Stadt bis heute täglich mit rund 420 Millionen Liter frischem Quellwasser.

Wertvolles Lebensmittel

Anfangs wurde das saubere Wasser der Hochquellenleitung in erster Linie als dringend notwendige Befreiung Wiens von der Bedrohung durch Krankheiten wie der Cholera gesehen. Die positiven Auswirkungen der Versorgung mit frischem Quellwasser ging jedoch weit darüber hinaus, trägt sie doch bis heute entscheidend zum speziellen Lebensgefühl der Stadt bei - von den 1.300 Trinkbrunnen bis zum obligaten Glas Hochquellwasser zur Melange im Wiener Kaffeehaus. Dem hohen Stellenwert des berühmten Wiener Hochquellwassers für die Identität der Stadt - lange als eine Selbstverständlichkeit hingenommen - ist man sich seit einigen Jahrzehnten wieder sehr bewusst. Die zunehmende Bedeutung von Wasser als wertvollem Lebensmittel rückt auch international auf die Agenda. Die UNO setzte 2015 den Zugang zu sauberem Wasser als Ziel Nr. 6 auf ihre Liste ihrer Sustainable Development Goals. Ende März 2023 fand im UN-Hauptquartier in New York die UN Water Conference statt - die erste seit mehr als 46 Jahren. UN-Generalsekretär António Guterres betonte in seiner Abschlussrede die zentrale Rolle des Wassers für die globale politische Agenda der kommenden Jahre. Österreich war auf der Konferenz durch Bundesminister Norbert Totschnig vertreten, ebenso hatte das „Danube Water Programm“ der IAWD, Kürzel für die etwas sperrig benannte „Internationale Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke im Donaueinzugsgebiet“, einen großen Auftritt. 1993 von den Wiener Wasserwerken initiiert, gilt die 11 Länder umfassende, grenzüberschreitende Zusammenarbeit mittlerweile als Best Practice Projekt im Bereich des Wassermanagements.

Die Zukunft des Wassers

Die Gegenwart mit ihren drängenden Prämissen wie dem Klimawandel oder der wachsenden Urbanisierung stellt das Erreichen des Sustainable Development Goals Nr. 6 der UN-Agenda 2030 zunehmend vor große Herausforderungen, wie Walter Kling, als IAWD Präsident auf der UN Water Conference mit dabei, betont. Die Verschiebungen des Klimas im Wiener Becken sowie die wieder stark wachsenden Bevölkerungszahlen, insbesondere in den Randbezirken der Stadt, stellen aber auch die Versorgung Wiens mit frischem Quellwasser vor schwierige neue Aufgaben. Die Stadt Wien reagiert u.a. mit der Erschliessung neuer Quellen und dem Ausbau seiner Wasserbehälter - bis in etwas mehr als 10 Jahren sollen 2 Milliarden Liter Speichervolumen die Stadt auch durch längere Hitzeperioden mit frischem Wasser versorgen. 2023 feiert Wien bei zahlreichen Gelegenheiten das 150-jährige Bestehen der für die Entwicklung der Stadt so bahnbrechenden Hochquellenleitung. Die Versorgung Wiens mit erstklassigem Quellwasser
ist jedenfalls, auch unter schwieriger werdenden Bedingungen, für die nächsten - hoffentlich
150 - Jahre gesichert.

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Agenda Wasser


António Guterres

Generalsekretär der Vereinten Nationen

„Water is about peace. Water is about sustainable development, fighting poverty, supporting food systems and creating jobs and prosperity. Water is about human rights and gender equality. That’s why water needs to be at the centre of the global political agenda.“



Ernst Woller
Wiener Landtagspräsident

„Wien ist die einzige Stadt der Welt, die das Trinkwasser seit 2001 mit einer Verfassungsbestimmung schützt. Mit der Wiener Wassercharta soll das berühmte Hochquellwasser als Lebensgrundlage für nachfolgende Generationen gesichert werden. Die Grundversorgung der Allgemeinheit mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen ist in Wien vorrangig eine Aufgabe der Kommune. Diese Verantwortung darf nicht einfach an gewinnorientierte Unternehmen abgegeben werden. Das unterscheidet Wien von den meisten Metropolen und trägt in hohem Maße zur Lebensqualität in unserer Stadt bei.“

Paul Hellmeier
Leiter Wiener Wasser

„Das Wiener Hochquellwasser ist ist ein Symbol für die hohe Lebensqualität der Stadt und Teil der Wiener Lebenskultur. Ob bei einem Trinkbrunnen oder im Kaffeehaus: Die Frische des Hochquellwassers schmeckt man in ganz Wien.“

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„Immense Handlungsnotwendigkeit.“


Walter Kling
Präsident IAWD, stv. Leiter Wiener Wasser i. R.

Über 150 Jahre Wiener Hochquellwasser:

Wie voraussehend die damalige Entscheidung im Wiener Gemeinderat war, aus Quellen der Voralpen über eine lange Distanz eine Leitung zu bauen, führt uns das Jubiläumsjahr nochmals vor Augen. Das Wiener Hochquellwassser ist einzigartig. Zur Bewältigung der heutigen Herausforderungen - und damit meine ich den Klimawandel - ist es absolut notwendig, ebenso wie damals richtige und nachhaltige Entscheidungen für die nächsten 150 Jahre zu treffen!

Zur Wiener Wasserversorgung im Kontext der Klimakrise:

Wien ist in der privilegierten Lage, dass die Stadt von der Auswirkung des Klimawechsels nicht am härtesten getroffen wird. Wir haben unsere Quellen und die Voralpen in der Nähe, das Wasserangebot für die Stadt Wien ist also noch immer reichlich vorhanden. Dies entledigt uns aber bei weitem nicht der Verantwortung, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Wir haben einfach ein bisschen mehr Reaktionszeit als viele prekäre Gegenden der Welt. Mit der Strategie „Wiener Wasser 2050“ haben die Wiener Wasserwerke Überlegungen, Studien und Wissen verfügbar gemacht, um auch der Politik eine Grundlage zu geben, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Zum Auftritt der IAWD bei der UN Water Conference:

Das „Danube Water Programm“ der IAWD, wo wir seit 10 Jahren gemeinsam mit der Weltbank den Wissensaustausch im Donauraum institutionalisiert haben, wurde auf der UN Wasser Konferenz als Best-Practice Beispiel präsentiert. Weltweit wurden 1.300 Initiativen bei der Konferenz eingereicht, knapp über 200 konnten überhaupt gehört werden. Global gesehen ist Wasser ein Thema, das unter riesigem Druck für Lösungsmöglichkeiten steht. Die Handlungsnotwendigkeit ist immens.

 

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wien.gv.at/wienwasser

iawd.at

unwater.org
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